Europa, wach auf! Die Zeit der Unterordnung ist vorbei
Von Oliver Fiechter
Europa hat sich zu lange angepasst – an die Nachkriegsordnung, an amerikanische Sicherheitsgarantien, an globale Märkte, an eine Welt, die es nicht mehr gibt. Seit den Weltkriegen steckt der Kontinent in einer mea culpa-Depression, in der er sich selbst kleinredet, während andere aufsteigen. Doch nun, da die USA unter Trump Europa nicht mehr als gleichberechtigten Partner, sondern als überflüssigen Mitstreiter behandeln, stellt sich die Frage: Landen wir auf den Füßen oder auf dem Rücken?
Europa in ständiger Anpassung
Seit 1945 hat sich Europa unter amerikanischem Schutz eingerichtet und seine Rolle in der transatlantischen Ordnung akzeptiert. Zunächst ging es darum, die Wunden der Kriege zu heilen und sich moralisch und wirtschaftlich wieder in die zivilisierte Welt einzugliedern. Doch mit der Einbindung in das transatlantische Bündnis unter amerikanischer Führung wurde aus Sicherheit auch Abhängigkeit. Der Wohlstand Europas beruhte nicht zuletzt auf dem militärischen Schutz durch die USA, der dem Kontinent wirtschaftliche Entwicklung und sozialen Fortschritt ermöglichte – allerdings auf Kosten der strategischen Unabhängigkeit. Im Gegenzug fand sich Europa mit der Rolle des kleinen Verbündeten ab.
Doch dieses Arrangement ist passé. Die USA haben mit Trump einen neuen Kurs eingeschlagen, der unter Biden diplomatisch vielleicht anders klang, inhaltlich aber fortgesetzt wurde: „America First“ bleibt die Leitlinie. Die transatlantische Sicherheitsarchitektur gerät ins Wanken und Europa wird wie eine Katze aus dem Fenster geworfen. Die Frage ist nicht mehr, ob Europa sich neu definieren muss, sondern ob es das überhaupt noch kann.
Eine Chance zur Rückbesinnung
Das Problem Europas ist nicht seine wirtschaftliche oder technologische Schwäche – es ist der Verlust seines Selbstbewusstseins. Während andere in die Zukunft blicken, hängt Europa in der Vergangenheit fest. In den USA dominiert ein knallhartes Nutzenkalkül: Wer nicht zahlt, wird fallen gelassen. In Asien entsteht eine neue wirtschaftliche und politische Ordnung, die auf europäische Befindlichkeiten keine Rücksicht nimmt. Selbst Russland und der Nahe Osten haben ihre eigenen strategischen Agenden, während Europa noch darüber diskutiert, wie es sich anpassen kann.
Aber Europa muss sich nicht anpassen – es muss sich darauf besinnen, wer es ist. Seit Jahrhunderten ist Europa ein Motor der Innovation, ein Zentrum des Handels, der Wissenschaft und der kulturellen Avantgarde. Die soziale Marktwirtschaft, die Stärke des Mittelstands, die Innovationskraft und die universellen Werte der Aufklärung sind keine überholten Konzepte – sie sind das Fundament einer eigenständigen geopolitischen und wirtschaftlichen Strategie.
Ein Kontinent zwischen Selbstaufgabe und Neuerfindung
Der Reflex, sich den veränderten globalen Bedingungen anzupassen, ist verständlich – aber er führt in die Irre. Anpassung bedeutet in diesem Fall Unterordnung unter neue Großmächte, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen durchsetzen. Die wirkliche Alternative ist aber nicht die Unterordnung unter einen neuen Hegemon, sondern die Rückgewinnung der eigenen Souveränität. Das heißt:
- Eine eigenständige Wirtschaftsstrategie, die sich nicht nur an globalen Trends orientiert, sondern auch die Stärken Europas wie Industriestruktur, Bildungssysteme und Innovationskraft ausbaut.
- Eine geopolitische Emanzipation, die nicht mehr nur Washington oder Peking als Bezugspunkt sieht, sondern eigenständig Allianzen bildet, wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen durchsetzt und sich nicht mehr als Vasall versteht.
- Ein neues Selbstbewusstsein, das sich aus den Errungenschaften Europas speist, statt sich ständig auf die Schuld der Vergangenheit zu reduzieren. Der Zweite Weltkrieg ist nicht vergessen – aber Europa kann nicht ewig in der Schuld des 20. Jahrhunderts gefangen bleiben.
Die Welt verändert sich – Europa darf sich nicht beugen, sondern muss handeln
Die alten Spielregeln gelten nicht mehr. Die USA sind nicht mehr der unbedingte Beschützer, China baut an seiner eigenen Ordnung und Indien ist zu einem zentralen wirtschaftlichen und geopolitischen Akteur aufgestiegen. Während die neuen Machtblöcke ihre Position festigen und die Zukunft gestalten, wirkt Europa wie ein Verwalter der Vergangenheit.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir fügen uns als Untergebene in eine Weltordnung, die andere bestimmen. Oder wir nutzen die Chance, endlich unsere eigenen Regeln festzusetzen. Die Katze ist aus dem Fenster – jetzt muss Europa wieder auf die Beine kommen.